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Manchmal ein Traum, Gesammelte Gedichte EINIGE ÜBERLEGUNGEN ZUR LYRIK VON ILSE TIELSCH Innerhalb der österreichischen Literatur weiß ich keinen Text, der die Verstörung einer ganzen Generation dermaßen bündig auf den Begriff bringen würde wie Ilse Tielschs Gedicht „Schriften und Farben“ (aus ihrem Band „Regenzeit“). Wie fast immer in ihrer Lyrik, die sich nicht an ein exklusives Publikum aus Kennern und Kollegen, professionellen Lesern und Interpreten wendet, sondern an eine bunt zusammengewürfelte Leser- und Zuhörerschaft, verzichtet die Autorin auch hier auf alle dunklen Metaphern zugunsten einer Diktion, die klar ist wie Wasser, kommt sie auch hier mit wenigen Worten aus, nimmt mit knappen, kurzen Versen vorlieb – einzelne Verse dieses Gedichts bestehen lediglich aus einem einzigen Wort –, und beschränkt sich auf ein allgemein gängiges, eingängiges Vokabular. Exemplarisch zeigt sich an diesem Gedicht aber auch noch eine weitere Qualität dieser Lyrikerin, nämlich ihre Fähigkeit, aus zartestem Sprachgewebe ein denkbar stabiles, leicht und gut begehbares Gebäude zu errichten, ohne dabei auf strophische Gliederungen zurückgreifen zu müssen. Torbogenförmig wölbt sich das Versgebilde, um schließlich in einem markanten Schlussstein zu kulminieren: Unsere Kindheit hoch Nacht für Nacht die Farben von
Ohne Klage und Anklage, ohne jeden Anflug von Pathos wird hier Rückschau gehalten auf eine Kindheit, die, bedingt durch Diktatur und Krieg, ein jähes, vorzeitiges Ende nahm, wird hier die Bilanz einer kurzen, zerbrochenen Jugend gezogen, die durch traumatische Verlusterfahrungen, durch Flucht und Vertreibung geprägt und gezeichnet war. Noch längst nicht erwachsen geworden, erlebten die Angehörigen dieser Generation auf die eine oder andere Weise den gewaltsamen Zerfall von allem, was sie für „ihre Welt“ gehalten hatten, mussten sie erkennen, dass vieles von dem, was man ihnen in der Schule beigebracht hatte, nun keinerlei Gültigkeit mehr besaß, dass viele der Heilsgewißheiten, auf die man sie eingeschworen hatte, monströs unmenschliche Lügen gewesen waren und viele ihrer größten Hoffnungen nichts weiter als Illusionen. Die Konsequenz, die nicht wenige von ihnen daraus gezogen haben, war radikale Skepsis allen großen Worten, allen großen Erzählungen und großspurigen Welterklärungen gegenüber, war ein nimmermüdes Mißtrauen, das sich nicht nur auf die bestehenden Verhälnisse beschränkte, sondern auch vor dem eigenen Ich, dem eigenen Verhalten und der eigenen Weltwahrnehmung nicht Halt machte. Was ist uns geblieben? Zu Häupten die Sterne, die unnahbar fremden, Eine ähnliche Inventur unternahm Ilse Tielsch in ihrem Gedicht „Was mir gehört“, in dem sie auflistet, was ihr geblieben ist und wessen sie sich halbwegs sicher sein kann: Dieser Tisch In der Lyrik dieser Autorin sucht man große Gesten vergeblich. Sich in Pose zu werfen und sich verschiedene Sprachmasken anzulegen hatte sie zu keiner Zeit nötig. Auch suchte sie nie mit virtuoser Sprachartistik, mit Wort- und Silbenakrobatik aufzutrumpfen, sondern ging auf denkbar redliche Art und Weise daran, zu erkunden, was sich nach all den stattgehabten Katastrophen noch sagen ließ, welche Wege kreuz und quer durch die Sprache man noch betreten konnte, ohne im Klischee oder in der wohlfeilen Phrase zu landen. Billige Abstraktionen meidet sie konsequent; selbst eine Überschrift wie „Besitz des Menschen“ wäre für ihre Begriffe, ihre Sprachverhältnisse zu abstrakt, zu allgemein gehalten. Anstatt selbstbewusst „der Menschheit“ ein Zeugnis auszustellen, legt sie voller Selbstzweifel, voller Zweifel an ihrer Sicht der Dinge und an der Sinnhaftigkeit ihres schriftstellerischen Tuns Zeugnis ab von ihrem Leben als schöpferischer Mensch in einer verwalteten, verzweckten Welt. Sie beansprucht für sich keinen Sonderstatus, behauptet nicht, über exklusives Wissen oder visionäre Gaben zu verfügen, wie man sie den Dichtern seit altersher gerne zuschreibt, sondern versteht sich als Teil eines großen, unentwirrbaren und unauflöslichen Ganzen, als solidarisches Mitglied einer Überflussgesellschaft, deren gravierende Mängel – wie etwa Lieblosigkeit und Sprachlosigkeit – offenkundig sind. Die berufsbedingte Isolation hat bei ihr nie zu übersteigerter Selbstbezüglichkeit, nie zur literarischen Nabelbeschau geführt; immer blieb die Frage nach dem anderen im Vordergrund, nach dem Leben der anderen, immer hielt sie Ausschau nach einem Menschen in ihrer Umgebung (fern hinter Schleiern/ ein Licht/ dort atmet einer/ wie ich), der, in ungleich tiefere Isolation verstrickt, auf ein Zeichen wartet, ein Signal, eine Nachricht, die sein Leben verändert. Täglich tief bewegt und voll Mitgefühl * Ilse Tielschs jüngster Gedichtband trägt den bezeichnenden Titel „Lob der Fremdheit“. Das Lob, der Lobgesang gehört seit eh und je zu den zentralen Funkionen der Poesie, und hält man Umschau in der österreichischen Lyrik des 20. Jahrhunderts, so findet man ein „Lob der Vergänglichkeit“ (Hans Leifhelm), einen „Lobgesang auf diese Zeit“ (Henz), ein „Lob des Dunkels“ (Szabo) und ein „Lob der Verzweiflung“ (Kramer) – samt und sonders eigentümliche, bemerkenswerte Versuche, das Geächtete zu achten und das Erdrückende zu überhöhen. In diese Reihe gehört auch der Lobgesang von Ilse Tielsch, und dafür, dass dass sie ihn uns geschenkt hat, sind wir ihr zu tiefem Dank verpflichtet, gerade hier und heute, in einem Land, in dem das Fremde fast nur im Gewand des Exotischen, des Außergewöhnlichen begrüßt und akeptiert wird, nicht aber als integraler, unentbehrlicher Bestandteil des eigenen Alltags. Noch Noch Noch doch ihre Türme und der orangefarbene Nur auf fremdem Terrain sind Entdeckungen möglich; nur solange noch keine „Schleier der Vertrautheit“ sich um die Dinge legen, ist man fähig, ihnen auf den Grund zu sehen und ihnen schauend, wahrnehmend, Gerecht zu werden. Wer heimisch ist, weiß Bescheid – oder glaubt Bescheid zu wissen – und ist ein Gefangener seines Wissens; wer aber fremd ist, geht mit offenen Augen durch seine Tage und Nächte und bekommt eine Ahnung von allem. Gerade die Ahnung aber ist es, die den Horizont offen hält und die Welt weit macht (um mit Peter Handke zu reden), während alles vermeintliche oder tatsächliche Wissen, alle eingeübten Definitionen, alle verinnerlichten Dogmen und Gewißheiten den Blick verengen, den Spielraum, den Atemraum einschränken. Gewöhne dich nicht An den sanften Schnee Ilse Tielsch hat sich nie an das Gegebene, Vorgegebene gewöhnt, weder an das Bittere noch an das Schöne, weder an die Wörter und ihre Bedeutungen noch an den Unsinn, mit dem wir Tag für Tag von allen Seiten und aus allen Kanälen überflutet werden. Deshalb birgt jeder Tag für sie immer noch einen neuen Anfang und jeder Vers führt sie ins Offene, wohin wir ihr nur allzu gerne folgen. |
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