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Die Ahnenpyramide


Stimmen zum Buch:

Fritz Hochwälder, Zürich, 14. Oktober 1980, Auszug aus einem Brief an den Verlag Styria:
»Ilse Tielsch Roman Die Ahnenpyramide habe ich mehrmals mit Erschütterung gelesen. Ich sage nicht zu viel, wenn ich dieses Werk als den Roman unseres verheerenden Jahrhunderts bezeichne. Irgendwie erinnert mich diese Geschichte von der Austreibung und Vernichtung der Siedler in Böhmen und Mähren an ›Die Buddenbrooks‹. Bei Mann handelt es sich […] um den Verfall einer Familie, bei Tielsch hingegen um die Tragödie der Vernichtung eines friedlichen Volkes, das sich Heimat geschaffen hatte, und ihrer im Strudel einer Wahnsinnszeit verlustig ging. Dabei – und das war bei zweimaliger Lektüre wohl der nachdenklichste Gewinn, den ich dem Werk entnahm: es ist ein großes und stilles Buch. In keiner Zeile ist von Hass, Rachsucht oder Vergeltung die Rede. Und doch, die Betroffenen verloren ihre angestammte Heimat nicht minder als etwa die Angehörigen der PLO, die weltweit zu Terror und Attentaten sinnlos auffordern.
Ich wünsche der Dichterin und ihrem Roman eine zahlreiche Leserschaft, und grüße sie unbekannterweise, selbst der Sohne eines Mannes, der aus Schlesien stammte, aus Hnojnik bei Teschen.«

Wendelin Schmidt-Dengler, »Kleine Zeitung«, Graz,
13. August 1980:
»Nicht nur der Geburtsjahrgang – 1929 – verbindet Ilse Tielsch mit Christa Wolf. Die DDR-Autorin und die aus Südmähren stammende Österreicherin sind ihrer Kindheit auf der Spur. Beide haben das Land ihrer Kindheit als Heimat verloren und eine neue gewonnen […] Ich will aus Landschaften, Dörfern und Städten, aus Häusern und in diesen Häusern lebenden Menschen, aus dem, was ich über diese Menschen erfahren, aus der Erinnerung anderer in Erfahrung bringen kann, etwas zusammensetzen, das ein Ganzes ergibt. Ich habe Heimweh nach diesem Ganzen, nicht nach dem Ort, an dem ich geboren worden bin […] Es ist Trauerarbeit, die geleistet wird, Bewältigung der Vergangenheit, ohne marktschreierisch ein Konzept dafür zu verkünden oder ungebetene Schuldbekenntnisse aufzutischen. Für uns alle enthält dieses Buch viel an Wissenswertem, vor allem an kulturhistorisch Interessantem. Das wird nicht belehrend-moralinsauer vorgebracht […] Über den literarischen und informativen Wert hinaus hat dieses Buch auch seine kulturpolitischen Meriten. Es versucht vor allem, einen Begriff von dem Odium, das auf ihm lastet, zu befreien, den vielfach im völkischen Sinne mißbrauchten Begriff ›Heimat‹ […].«

»Die Welt«, Hambur,g 20. Spetember 1980, Peter Jokostra:
»Die in Wien lebende mährische Lyrikerin und Erzählerin Ilse Tielsch beherrscht die schwierige Kunst des Einfachen, das niemals simpel oder trivial ist, sondern stets in die Tiefe der Erkenntnis reicht. ›Die Erinnerung überspringt die Jahrzehnte, als wären sie nicht gewesen‹, schrieb sie, ihren Ort bestimmend, in ihrer meisterhaften Erzählung Erinnerung mit Bäumen. Das ist wie die Beschreibung eines Bildes. Das ›mit‹ artikuliert das Bildhafte des Gedachten, das sich in der Metapher oder hier in der Erzählung zur Sprache verdichtet […] Es geht Ilse Tielsch wie allen, die nach Jahrzehnten das Vergangene in die Gegenwart zu projizieren versuchen, wie Christa Woolf, für die das Landsberg ihrer Jugend ein versunkener Ort, ein ›Nirgendwo‹ in Träumen bewahrt, aber in der Wirklichkeit eine Provokation für die Lebenden ist, die den verwaisten Platz der Toten eingenommen haben. Aber das Experiment mit der Erinnerung ist der Erzählerin Ilse Tielsch dank ihrer Fähigkeit zur Distanz, zum Maßhalten, zur Genauigkeit gelungen. Das ist das glückliche Fazit dieses kühnen Versuchs, die Vergangenheit einzuholen.«

»Die Presse«, Wien, 25. April 1981, Lore Toman:
»Endlich holt die lange schon bekannte Erzählerin mit fast alttestamentarischem Schwung dichterisch ganz weit aus, um auf ihre Weise die vergeblichen Werke der Menschen, aber auch ihr unbesiegbares Überleben vor uns auszubreiten. Sie geht dabei mit unerhört feiner Einfühlung und mit unbeirrbar ordnendem Verstand zugleich vor […] Wer wissen will, wie es wirklich gewesen ist, dem liefern diese unvoreingenommenen Schilderungen in ihrer fast frühchristlichen Bekenntnishaftigkeit und ihrem frühsozialistischen Mitgefühl alle Materialien, sich selbst ein facettenreiches, durch sorgfältige Bibliotheksstudien untermauertes Bild zu machen, wie es einst mit uns ging.«

»Neue Zürcher Zeitung«, 1. Oktober 1980, Heidrun Graf:
»Dreißig Zeilen sollen für ein Lexikon darüber geschrieben werden, was der Begriff ›Heimat‹ bedeute. Diese dreißig Zeilen zu schreiben, wird für die Autorin unmöglich, es entsteht dieses 432 Seiten umfassende Buch. Es gilt, Erinnerungen an eine endgültig vergangene Zeit in unsere moderne, ganz andere, neue Zeit hinüberzuretten. Ilse Tielsch möchte nicht sagen müssen: ›Jetzt ist es zu spät, jetzt sind alle, die es gewusst haben, tot, jetzt werden wir niemals erfahren, was damals geschehen ist […] So gesehen, kämpfe ich gegen das Erblinden des Spiegels an‹, sagt sie von sich und ihrer Arbeit als Schriftstellerin […]
Dabei fehlt die Betroffenheit nicht, dass das Erinnerte widersprüchlich und ungenau ist. Was ist Heimat, wer ist Heimat, wo ist Heimat für einen Menschen, der als Kind vertrieben wurde? […] Das Trennende und der Abstand sind zu groß geworden. Das und vor allem auch wie sich die Autorin damit auseinandersetzt, zeugt von ihrer Ehrlichkeit, Sorgfalt und Reife.«

Weitere beachtenswerte Rezensionen in:
»Literatur und Kritik«, Jeanne Ebner
»KK – Kulturpolitische Korrespondenz«, 5. Dezember 1980, Bonn, Franz Heinz
»Wiener Journal«, 12/80, C.H. Binder
»Der Literat«, Jänner 1981, Horst Güra
»Radio Bremen«, 31. August 1981, Dagmar von Mutius
ORF »Ex libris«, 9. September 1980, Jeannie Ebner
u.a.

(Amerikanische Fassung des Romans von David Scrase, Riverside, 2001; Russische Fassung von Irina Alexeeva, St. Petersburg, 1997; Französische Fassung von Miguel Couffon, Paris, 2001)